Ich bin fast pünktlich um 7.00Uhr Morgens auf meiner Baustelle, dem neuen Jugendklub in Winterfeld bei Salzwedel. Meine Kollegen Udo und Roco sind auch gerade angekommen. Udo hat Geburtstag und nach dem obligatorischen Händschütteln und Beglückwünschen holt er eine Flasche Pfeffi aus seinem Frühstücksbeutel. Prost, der Tag fängt gut an. Bis zur Frühstückspause passiert dann auch nichts mehr, denn die Flasche Pfeffi hat zu diesem Zeitpunkt höchtse Priorität. Und dann ist endlich Frühstückspause. Wir wandern in die nahe gelegene Dorfschänke und nach dem Verzehr eines riesigen Bauernfrühstücks kommen drei Helle auf den Tisch. Irgendwann beschließen wir, dass heute nicht mehr gearbeitet wird. Ich laufe schnell nochmal zur Baustelle und mache die verlegten Fliesen vom Vortag nass. Falls der Meister unerwartet auf der Baustelle erscheint, sieht es wenigstens so aus, als ob wir schon etwas getan hätten. Doch der Meister erscheint an diesem Tag nicht und wir können ganz entspannt Udos Geburtstag feiern. Soltmann heißt das lecker Bierchen aus der Brauerei in Salzwedel und so einige naturtrüb und schaumgebremste Säfte gehen über den Tresen.
Es ist inzwischen 15.00Uhr und Zeit für den Feierabend. Wir zahlen unsere Rechnung und verlassen nach 6 Stunden wieder die Dorfschänke. Schnell Werkzeug zusammenpacken und schnell los nach Hause. Mein Trabant 601 Baujahr 1968 ist so alt wie ich. Wir verstehen uns gut an diesem Tag und er bringt mich sicher an mein Ziel. Hier wartet schon meine Freundin. "Oh Schitt, ich hatte ihr versprochen heute die Küche zu fliesen." Auf dem Grundstück meiner Eltern befindet sich ein kleiner Bungalow mit Küche, Bad, Wohnzimmer und Schlafzimmer. Ideal für ein junges Liebespaar und so sind meine Freundin und ich am renovieren und dazu gehört eben auch das Fliesen der Küche.
Ich stecke meine ganze Kraft in einen aufrechten, geradlinigen Gang, doch meiner Freundin bleibt mein gekreuzter Blick nicht verborgen. Irgendwie ist sie jetzt sauer, denn sie hat mich mit einem bösen Blick stehen gelassen und ist rüber in das Haus meiner Eltern gegangen.
"Ok, ich bin zwar nicht ganz nüchtern, aber wer sagt denn, dass man besoffen keine Fliesen mehr legen kann." Ich mache mich also an die Arbeit und schalte mir dazu das Radio ein.
Gegen 20.00Uhr hab ich alle Fliesen dran und schaue mir mein Wunderwerk an. Das Radio dudelt immer noch. Ich mache mir noch ein Fläschchen Bier auf und beim Schlucken höre ich, dass da jemand von offenen Grenzen spricht. Ich drehe den Dudelkasten lauter und bekomme noch einmal bestätigt, dass die innerdeutschen Grenzen für jeden geöffnet sind.
Ich vergesse den Streit mit meiner Freundin und renne mit meiner Flasche Bier zum Haus meiner Eltern. Hier sitzen Mutti, Vati und meine Freundin auf dem Sofa und schauen Tatort. "Los kommt, wir fahren in den Westen. Die Grenzen sind auf." Mit der Bemerkung, dass ich aufhören sollte Bier zu trinken lassen die drei mich stehen und schauen wieder gespannt auf ihren Tatort.
Ich gehe wieder in den Bungalow und bekomme selbst Zweifel an dem, was ich da eben gehört habe. Zähne putzen und duschen und dann aber ab ins Bett. Morgen ist auch noch ein Tag, der 10. November 1989.
So war das zur so genannten Wende bei mir. Das ist jetzt 25 Jahre her und gewiss wäre ich heute nicht in Paraguay, wenn damals nicht die Mauer gefallen wäre. Und bin ich heute bei meinen Eltern zu Besuch und schaue auf die Fliesen vom 9.November 1989, welche tatsächlich immer noch an der Wand sind, denke ich an diesen Tag zurück. Und übrigens die Freundin von damals habe ich einen Monat später geheiratet und jetzt fehlt nicht mehr viel bis zur Silberhochzeit. Kinder wie die Zeit vergeht und natürlich gibt`s darauf heute ein lecker Bierchen.
2 Kommentare:
Geile Story, Kay!
Zur gleichen Zeit, da du gefliest hast, saß ich nahe der Grenze mit offenem Mund vor der Glotze, hörte den Mann aus den ARD-Tagesthemen sagen: "Die Tore in der Mauer stehen weit offen", und hielt meine Kleine auf den Knien. Die, ein Wessiekind aus dem Wendejahr, ist mittlerweile auch schon ein Vierteljahrhundert alt. :)
Der "Mann aus den Tagesthemen" wurde im Sommer 1990 mein Dozent, und sagte später sinngemäß, er habe gar nicht gewußt, ob die "Tore in der Mauer" weit offenstanden - er habe das einfach mal so gesagt. Tatsächlich strömten erst nach dieser Falschmeldung die Ost-Berliner in großer Zahl an die Mauer. Und Stasi-Offiziere hatten den Reisegesetz-Text für Schabowskis Pressekonferenz geschrieben und ihm in die Unterlagen geschoben? Hm...
Ein wunderbarer Blog, den du da schreibst, und ich habe ihn fast von Anfang an begleitet. Irgendwann komme ich nach PY, und vielleicht trinke ich dann mit dir ein lecker Bierchen auf deine neue Heimat.
Bis dahin!
Für ein lecker Bierchen bin ich immer zu haben.
Lg unbekannter Weise
Kommentar veröffentlichen